Vorgehen bei "rechtswidrigen" Radwegen

Kein Radweg!

Seit der StVO-Novelle im Jahr 1997 sind nur noch solche Radwege benutzungspflichtig, die mit einem Radwegschild (Z 237, Z 240, Z 241) ausgeschildert sind. Nicht beschilderte Radwege sind "andere Radwege", die benutzt werden dürfen, aber nicht benutzt werden müssen.
Eine Ausschilderung von Radwegen und damit die Festlegung der Benutzungspflicht darf nur erfolgen, wenn der Radweg baulich bestimmten Kriterien entspricht. Diese Kriterien sind in den Verwaltungsvorschriften zur StVO (VwV-StVO) (insb. zu § 2, Rd.-Nr. 14 ff) festgelegt.
Nun kommt es aber immer wieder vor, dass die zuständigen Behörden eine Benutzungspflicht für Radwege verhängen, die absolut nicht den Kriterien der VwV-StVO entsprechen.

Außerdem dürfen gemäß § 45 Abs. 9 StVO Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort angeordnet werden, "wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Abgesehen von der Anordnung von Tempo 30-Zonen nach Absatz 1c oder Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Absatz 1d dürfen insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt."
Auch die Anordnung einer Radwege-Benutzungspflicht ist eine Beschränkung es fließenden Verkehrs. Diese Rechtsauffassung ist am 18. November 2010 vom Bundesverwaltungsgericht Leipzig bestätigt worden. Es hat damit die Vorinstanz (VGH München, VGH 11 B 08.186 – Urteil vom 11.08.2009) bestätigt (Az. BVerwG 3 C 42.09 - Urteil vom 18. November 2010.

Was ist also bei benutzungspflichtigen Radwegen, die den genannten Kriterien nicht genügen, zu tun?

Zuerst sollte die ADFC-Gliederung vor Ort natürlich den Dialog mit den zuständigen Stellen suchen und die Entfernung des Schildes bewirken. Bei neu angelegten Radwegen sollte natürlich schon in der Planungsphase Einfluss genommen werden.
Aber nicht immer ist das von Erfolg gekrönt. Da ein Verkehrszeichen ein Verwaltungsakt ist, hat jeder Betroffene die Möglichkeit, Widerspruch dagegen einzulegen. Dafür gilt es natürlich bestimmte Fristen einzuhalten. Die Frist beträgt mindestens 1 Jahr nach der Aufstellung des Schildes. Ob die Frist ggf. auch länger läuft, war lange Zeit umstritten. So gab es ein Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Hessischer VGH · Urteil vom 31. März 1999 · Az. 2 UE 2346/96), in dem das Gericht von einer einjährigen Widerspruchsfrist ausging, unabhängig davon, wann der Kläger die Möglichkeit hatte, die Anordnung zur Kenntnis zu nehmen. Zehn Jahre später hat das Bundesverwaltungsgericht geurteilt, dass "die Frist für die Anfechtung eines Verkehrsverbotes, das durch Verkehrszeichen bekannt gegeben wird, für einen Verkehrsteilnehmer zu laufen beginnt, wenn er zum ersten Mal auf das Verkehrszeichen trifft." (BVerwG 3 C 37.09 und BVerwG 3 C 32.09).
Ein anderer Weg, der auch bei abgelaufener Widerspruchsfrist möglich ist, ist die Verpflichtungsklage, die an Stelle der ansonsten üblichen Anfechtungsklage angestrebt werden kann. Mehr dazu unten.

Natürlich kann auch eine Klage abgewiesen werden. Am 15. Juli 2015 hat das Verwaltungsgericht Schwerin eine Klage gegen die innerörtliche Benutzungsplicht in Wismar abgewiesen. Die Begründung stützt sich auf die ERA 2010 und die VwV-StVO. Der Kläger wandte sich zunächst auch gegen die linksseitige Benutzungspflicht. Im Widerspruchsverfahren einigte sich der Kläger mit der Verkehrsbehörde darauf, dass diese aufgehoben und durch ein Benutzungsrecht ersetzt wird: VG Schwerin, Az. 7A683/14 vom 15.07.2015

Was tun bei abgelaufener Widerspruchsfrist?

Direkten Widerspruch sollte man also vorsichtshalber nur einlegen, wenn das betreffende Schild vor längstens einem Jahr aufgestellt wurde oder man vor längstens einem Jahr dort zum ersten Mal vorbeigekommen ist. Ist dies nicht der Fall, hilft ein kleiner Umweg: Man stellt einen "Antrag auf Aufhebung der Radwegbenutzungpflicht". Gem. §§ 48,49 BVwVfG muss die Behörde einen rechtsbeständigen Verwaltungsakt ändern, wenn es Gründe dafür gibt (sinngemäß): dejure.org/gesetze/BVwVfG/48.html und dejure.org/gesetze/BVwVfG/49.html. In jedem Falle aber muss die Behörde einen Bescheid schreiben. Gegen den kann man dann binnen vier Wochen Widerspruch einlegen und ggfs. vor das Verwaltungsgericht ziehen. Ab hier ist das Procedere identisch mit dem des direkten Widerspruches. Allerdings: jeder Antrag kostet Geld, i.d.R. aber wenig.
Der Widerspruch muss von einer Person, nicht von einem Verein erfolgen. Diesem Widerspruch wird entweder stattgegeben, d.h. das Schild wird abgenommen. Oder aber er wird abgelehnt. Dann ist der nächste Schritt die Klage vor dem Verwaltungsgericht. Das ist dann aber schon ein größerer Akt. In Hamburg und Berlin wurde dieser Schritt bereits gegangen. Dabei hat in Hamburg der ADFC das finanzielle Risiko übernommen.

Urteile und weitere Infos

 

 

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Neues für Klagewillige

Von RA Dr. Dietmar Kettler, Kiel.

Radfahrer, die gegen die blauen Radwegebenutzungspflicht-Schilder klagen wollen, haben jetzt ganz neue prozessuale Chancen.
Alt: Anfechtungsklage
Seit Jahrzehnten ist unter Juristen unstreitig, dass Verkehrsschilder so genannte Verwaltungsakte sind. Für denjenigen, der dagegen klagen wollte, folgte daraus, dass er das binnen einer EinJahresfrist tun musste. Denn gegen Verwaltungsakte sieht die Verwaltungsgerichtsordnung nur eine so genannte Anfechtungsklage vor (man ficht den Verwaltungsakt eben an). ADFC-Aktive, die nach der Fahrradnovelle von 1997/98 glaubten, die Behörden würden das neue Recht auch umsetzen und die alten blauen, jetzt illegal gewordenen Schilder abmontieren, hatten daher ab 1999 ein Fristproblem.
Denn umstritten war unter den Juristen nur, ob die Jahresfrist schon für jedermann mit der Anordnung des Schildes beginnt oder für jeden einzelnen Verkehrsteilnehmer erst, wenn er sich dem Schild zum ersten Mal gegenüber sieht. Mancher, der 1997/98 noch an den politischen Weg geglaubt hat und deswegen den harten juristischen Klageweg vermied (was auch die offizielle Linie des ADFC-Bundesverbandes war), musste 1999 feststellen, dass ihn die Behörden nur veräppelt hatten, er nun aber zur Klage nur noch unter dem Fristrisiko greifen konnte. Und wer weiß schon, wie sein Richter das sieht?

Neu: Verpflichtungsklage bzw. Bescheidungsklage
Das Verwaltungsgericht (VG) Hannover (11 A 5004/01, Urteil v. 23.7.03) und das VG Berlin (11 A 606.03, Urteil v. 12.11.03, NZV 2004, 486-488) haben nun einen neuen Weg aufgezeigt. Die beiden Kläger hatten sich nicht nur gegen die alten Schilder gewandt, sondern zugleich mitgeteilt, dass sie auch mit anderen Maßnahmen zufrieden wären, die ihren Interessen entgegenkommen. Wird das Klagebegehren aber so erweitert formuliert (was den Behörden offenlässt, den Radweg so aufzupeppen, dass er den baulichen Anforderungen der VwV-StVO an die Radwegebenutzungspflicht genügt), ist die so genannte Verpflichtungsklage die richtige Klageart. Und für die gilt die Jahresfrist nicht. Sie kann jederzeit erhoben werden, auch noch nach vielen Jahren.
Gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen, Überholverbote, Halteverbote und was sonst noch vor Verwaltungsgerichte gezerrt wird, funktioniert der Weg nicht. Das kann Radfahrern aber egal sein, wenn sie auf diesem Wege entweder einen wirklich guten Radweg bekommen (bei leeren öffentlichen Kassen eher unwahrscheinlich) oder das Radwegschild dann doch einfach weggenommen werden muss (weil alle anderen Möglichkeiten zwar rechtlich offen blieben, aber nicht finanzierbar sind ...).

Der von den beiden Klägern in ihrer Not mit der Jahresfrist mehr zufällig neu entdeckte Weg hat auch für die Behörde Vorteile: Sie wird nicht bevormundet, was genau zu tun ist, selbst wenn sie unterliegt. Rein theoretisch bleibt ihr offen, die Radwegebenutzungspflicht aufrechtzuerhalten. Vor allem aber ist der Weg der Tipp für alle Klagewillige, weil die Jahresfrist faktisch weg ist. Da mittlerweile 16 Urteile zur Radwegebenutzungspflicht vorliegen, die allesamt Radfahrers Sicht zur Abschaffung der Radwegebenutzungspflicht stützen, ist das Prozessrisiko nun nicht nur materiell-rechtlich, sondern auch prozess-rechtlich überschaubar.


 

Zur Sicherheit von Radwegen

 

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© Juni 2002
Peter de Leuw PdL, , letzte Aktualisierung: 13.09.2020

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