Birdy - ein ganz besonders vielfa(ä)ltiges Rad

Das Birdy-Faltrad
Dezember 1997 - endlich ist es da! Das Birdy, mein Faltrad, das mir viele Monate Kopfzerbrechen beschert hatte. Schließlich bedarf solch eine Anschaffung schon einiger Vorüberlegungen und das Setzen von Prioritäten:
Ein Faltrad muß für mich trotz der Falteigenschaft vor allem Spaß beim Radeln bringen. Die einzige Alternative zum Birdy, die ich damals in Betracht gezogen hatte, war das englische Brompton mit seinem erstaunlich kleinen Packmaß in gefaltetem Zustand und dem vergleichsweise günstigeren Preis. Doch nach kurzen Probefahrten beider Modelle gefiel mir spontan die sportlichere Sitzhaltung des Birdy von Riese und Müller, wohingegen das Brompton eher für die gemütliche Fahrweise "à la Hollandrad" konzipiert zu sein schien. So entschied ich mich für das Birdy in der Version "green", das mit seinem Riemenantrieb von mir weniger wartungsintensiv vermutet wurde als die Versionen -blue, -red oder -elox mit ihren Kettenantrieben. Für den erhöhten Fahrkomfort ließ ich direkt den mir zu breiten Sattel gegen einen Vetta SL austauschen. An die Lenkstange "mussten" Hörnchen, die Gummipedale wurden zu MTB-Pedale aufgerüstet und für Gepäcktransporte bekam das Birdy den speziellen Träger von R+M.

Warum überhaupt ein Faltrad? Diese Frage wurde mir im Freundes- und Verwandtenkreis häufiger gestellt, nicht zuletzt aus dem Grund, weil ich bereits Fahrräder für Einkaufszwecke und Urlaubsreisen besitze.
Nun, ein Leben ohne Faltrad hatte ich mein gesamtes Studium gespürt: Das Pendeln an Wochenenden mit dem Zug brachte mich stets in die Bredouille, ob ich mein Fahrrad am Heimatbahnhof sicher stehen lassen kann oder besser gleich den Bus nehme. Letzteres bedeutete allerdings, dass ich am Zielbahnhof wieder von Bus/Bahn abhängig war oder mich gar mit dem Auto abholen lassen musste. Die Fahrradmitnahme im Zug hatte ich aus finanziellen und organisatorischen Gründen nur zu Urlaubszwecken gewählt, schließlich hatte damals wie heute nicht jeder Intercity ein Fahrradabteil, die Interregios waren oftmals reserviert und der moderne ICE bietet ja bis heute keine Möglichkeit der Fahrradmitnahme an. Zudem waren 6,- DM (heute 9,- bzw. 12,- DM) pro Fahrt eine Kostenrechnung auch für die Kaufentscheidung des Birdys: Nach bereits 200 Pendeltouren hätte sich das Birdy-green rentiert. Mit dem derzeitigen Preis für ein Fahrradticket schon nach gut 130 Pendelfahrten.
Ein zweiter, besonders wichtiger Grund für ein Faltrad war zum Studienende mein bevorstehender Eintritt in das Berufsleben. Nicht immer ist es möglich, in der Nähe des Arbeitsplatzes zu leben, häufig ist die Wohnlage dort auch nicht besonders attraktiv. So wollte ich den Kauf eines Autos umgehen und eventuelle längere Strecken zur Arbeit durch die Kombination Birdy + Bus oder S-Bahn für mich attraktiv und bequem gestalten.

Jetzt, im Mai 1999, nach fünfzehn Monaten und über 4000 km Radelkilometern mit meinem Birdy möchte ich ein Resümee ziehen:
Faltschritt Nr. 1 Das Birdy ist für mich nicht "nur" Faltrad für einzelne Wochenendtouren, sondern zu einem vollwertigem Alltagsrad geworden. In der autodominierten und vor Verkehr kollabierenden Stadt Hamburg pendele ich in den Wintermonaten täglich mit Birdy und S-Bahn zur Arbeit. Das Falten dauert vielleicht die 15 sec., mit denen der Faltvorgang beworben wird, aber gestoppt habe ich die Zeit noch nicht. Unter interessierten und zuweilen auch nervig-neugierigen Blicken klappe ich den Hinterbau unter das Hauptrohr vom Birdy. Mit dem Lösen des Schnellspanners der Sattelstütze und dem Einschieben durch das Sattelrohr wird der Hinterbau anschliessend fixiert.
Als nächstes wird der Haken der Vorderradfederung gelöst und das Vorderrad nach hinten weggeklappt. Zuletzt muss die Klemmung des Vorbaus knapp über dem Steuersatz geöffnet und der Vorbau heruntergeklappt werden. Das sind insgesamt vier Handgriffe, die rasch zu beherrschen sind und aus dem "vollwertigem" Rad ein relativ tragbares Päckchen machen. Je nach Bedarf kann ich noch den Schnellspanner des höhenverstellbaren Vorbaus lockern und der Lenker ein wenig drehen. Faltschritt Nr. 2
Faltschritt Nr. 3 Da die Hörnchen am Lenker im gefalteten Zustand ein wenig sperrig sind, habe ich die Schraube an der Lenkerklemmung durch einen selbstabgesägten Sattelschnellspanner ersetzt. Durch einen weiteren Handgriff kann ich jetzt zusätzlich die Lenkstange neben dem gefalteten Vorderrad nach oben drehen, so dass die Hörnchen parallel zum Rad liegen und beim längeren Tragen nicht in die Kniekehlen stossen.
Nun ist das Rad handlich klein und bequem am Oberrohr in den Zug/ die S-Bahn zu heben. Das Gewicht meines Birdy green liegt ohne Schloß bei etwa 11 kg und ist für kurze Wege nicht zu schwer zum Tragen, für längere Bahnsteige lohnt sich ein schnelles Auf- und später wieder Zusammenfalten. Faltschritt Nr. 4

Für Strecken im Zug benutze ich die Schutzhülle, die es bei R+M als Zubehör zu kaufen gibt. Sie dient nicht nur als Sichtschutz und bewahrt mich so vor der nervigsten Frage von Passanten ("Was kostet so ein Rad"), sondern schützt die eigene Hose vor "Tragespuren", vor allem an regenreichen Tagen.
Am Zielbahnhof angekommen wird aus dem augenscheinlichen Wirr-Warr im Handumdrehen wieder ein Rad, mit dem ich nicht nur kurze Strecken durch die Stadt radele, sondern auch Strecken über 50 km bequem zu bewältigen sind. Die vermeintlich hohe Trittfrequenz aufgrund der kleinen Laufräder wird durch eine geeignete Übersetzung ausgeglichen, erst ab Tempo 30 wird mir das Treten zu schnell... Die Federungen an Hinterbau und der Vorderradschwinge machen sich positiv bemerkbar, kleinere Kanten im Asphalt oder Unebenheiten auf "Cross-country"-Strecken bewältigt das Birdy wie "im Flug". Durch die Hörnchen habe ich zwei Griffpositionen, die auf längeren Strecken ein Umgreifen der Hände erlauben und somit Ermüdungserscheinungen an den Händen vorbeugen. Der Tacho zeigt mir zuverlässig mein Tempo und hilft zur qualitätssichernden Dokumentation der Lebensdauer einzelner Komponenten.
Für kleinere Transporte nimmt der Gepäckträger Lowrider- aber auch die großen Backpacker-Taschen ohne zu murren auf. Wenn aber die Hacken zuweilen daran stossen, fällt der kurze Hinterbau des Rades auf. Den Wocheneinkauf mag das Birdy jedoch nur ungerne auf dem Bob Yak nach Hause ziehen. Das Fahrgefühl wird bei den erlaubten 30 kg Zuladung des einrädrigen Anhängers sehr instabil. Am besten fährt es sich immer noch mit einem Rucksack!

Zur letzten Frage, ob das Birdy die ganzen Strapazen bisher so klaglos hingenommen hat, möchte ich Bilanz ziehen:
- 2 Vorderreifen, deren Lauffläche noch vor der Profilabnutzung rissig und spröde wurde...
- 3 Hinterreifen, von denen einem die Kakasse gerissen ist und dem Schlauch blasenförmig seinen Weg gönnte...
- 5 Plattfüsse, die ich erst durch "Anti-Platt"-Pannenband in den Griff bekommen habe...
- 6 Ritzel plus Hohlräder, die mir R&M kulanterweise ersetzt hat...
- 20 Speichenbrüche, die neben der Belastung auch sicher durch mangelhafte Einspeichung zustande kamen...
Dreckspritzer auf der Nase und im Nacken müssen bei Regentouren nicht sein. Einfache Schutzbleche, wie es sie für Kinderräder zu kaufen gibt, lassen sich mit dem handwerklichen Geschick eines lieben Mitmenschen - Danke Peter! - rasch anbauen und schützen effektiver, als die viel zu kurzen und dazu noch teureren Original-Birdy-Schutzbleche. Ein kleiner Spritzschutz zusätzlich am vorderen Blech hält auch das Hauptrahmenrohr zum Tragen sauber.
Front- und Rückstrahler sollten auf jeden Fall montiert werden, damit das Rad StVZO-gemäß wenigstens annähernd ausgerüstet ist. Für Nachtfahrten habe ich die batteriebetriebenen Front- und Rückleuchten "Freelite D" und "Relite D" von Busch und Müller, zu denen ich stets einen Satz vollgeladener Akkus mit mir führe. Die Speichen hatte ich lediglich für kurze Zeit mit Reflektoren belästigt. Nur durch leichte Gewalt konnte ich die m. E. nach sinnlosen Plastikdinger in die Speichen zwingen, bevor mir der erste sich beim Anfahren lösende Reflektor fast einen Sturz bescherte.
Alles in allem wurde mit dem Birdy ein geniales Faltrad auf den Markt gebracht, das laufend weiterentwickelt und verbessert wird. Leider wurde die Produktion des Birdy green mit Riemenantrieb eingestellt, das Kunstoffritzel hat sich als zu weich im Material erwiesen. Hersteller A. Thun war nicht bereit, die geringe Stückzahl pro Jahr durch Änderungen des Materials zu verbessern. So ist das Birdy green derzeit mit einer Sieben-Gang-Nabe und Kettenantrieb auf dem Markt.
Dem Hersteller Riese und Müller sei trotz der aufgezeigten Schwachstellen zur Erfindung des Birdy gratuliert!

© A. Pühse, Mai 1999

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